»Ein rauschendes Fest wird organisiert. Es findet statt in der Stuttgarter tri-bühne. Edith Koerber hat Franz Kafkas kurze Parabel ›Auf der Galerie‹ als Basis genommen für eine sehr heutige Firmenfete, die trotz Lobliedern auf den Big Boss keine Zweifel an der Kritik von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft lässt.
Dabei beleuchtet sie eine Scheinwelt, wie sie Kafka einst durch die Kunstreiterin umrissen hat. Ein Galeriebesucher betrachtet im ersten Teil die Vorführung einer kranken Zirkusartistin, angetrieben von einem erbarmungslosen Chef. Oder ist es eine prächtige Inszenierung, von einem hingebungsvollen Direktor fürsorglich begleitet? Die Frage drängt sich auf: Was ist Wirklichkeit, was reine Fassade? In der tri-bühne werden die Besucher ›verhaftet‹. Sie sind die Belegschaft, die am Ereignis teilhaben darf. Der älteste Sohn Adam, großartig dargestellt von Martin König als jovialer Konvertit vom Lebemann zum Mustersöhnchen, füttert die Festversammlung mit internen Details. Mit albernem Kinderparty-Hütchen auf dem Kopf gibt er den Pausenclown im Zivilisationsdrama. So werden die Zuschauer zu Komplizen wider Willen, sehen sich plötzlich in der Lage des Kafkaschen Galeriebesuchers, genötigt zur Handlung und trotz Erkenntnis starr. Am Ende bleibt die Kapitulation, wenn der Chef nach 70 Minuten das Fest mit den Worten beendet: ›Es reicht.‹
In dieser kurzen Zeit wird ein langer Anklagekatalog aufgefächert. Das Negativ-Ranking führen Raubbau, Kolonialisierung und Ausbeutung der Menschen an, dicht gefolgt von Profitgier, Marktfreiheit, Scheinmoral von Weltkonzernen und gleichgültigem Konsumentenverhalten.
Koerber packt die globale Misere in den Mikrokosmos des Lohmann Konzerns…Folkert Milster verkörpert das arrogante Oberhaupt mit First-Class-Daseinsberechtigung als beziehungslosen Menschen, der seinen eisernen Führungsstil mit scheinbaren Wohltaten zu dekorieren versteht. Die Mitarbeiter auf Kakao-Plantagen an der Elfenbeinküste etwa sind für ihn ›bezahlte Feinde‹, zu deren Wohl er eine Stiftung gründete. Kinderarbeit lehnt er ab. Neun Prozent der Schokoladenproduktion tragen das Fair-Trade-Siegel.
Der Slogan ›Schokolade macht glücklich‹ wirkt grotesk angesichts der Erzählungen des ehemaligen Kindersklaven Niankoro Moriba Fondio. Yahi Nestor Gahe drückt solches Leid in kraftvollen, tänzerischen Bewegungen aus. Er will nun ›unbezahlter Freund‹ sein, wird aber durch die Herablassung des Herrschers im Schoko-Reich auf seine Herkunft zurückgeworfen. Schließlich seien nicht alle Kolonisatoren Diebe und Ausbeuter gewesen, glaubt Lohmann. Es gab auch ›Menschen, die glaubten, Gutes zu tun‹. Man kann ja mal irren…
Am Ende bleibt die Frage: Sind wir Teil der Lösung oder Teil des Problems? Da weiß auch Koerber trotz eindeutiger Haltung keinen Rat. Aber ihr gelang eine beziehungsreiche Inszenierung mit guter Besetzung, viel Musik und Tanz, die ernste Themen kurzweilig beleuchtet.«