Das kunstseidene Mädchen

von Irmgard Keun |
Regie: László Bagossy

Doris, das »kunstseidene Mädchen«, zieht es 1932 in die große Stadt Berlin, den Inbegriff einer verrufenen, vertrackten, verwirrenden Stadt, einer Stadt, die schrecklich groß, schrecklich schnell und schrecklich isolierend ist. Hier kann man sein Glück machen, hier kann man es verlieren.

Doris will aber nicht nur nach Berlin, sie muss auch. Ihren Sekretariatsjob hat sie geschmissen, eine kleine Rolle am Theater ebenfalls, denn alles bedrängt sie. So stiehlt sie einen Pelzmantel, leiht sich von einer Freundin Geld und flieht in die Hauptstadt. Sie will ein »Glanz« werden, eine schöne, edle Frau, die nicht nur von Anwaltsgehilfen und Kleinschauspielern, von Kneipenbekanntschaften und Halbkriminellen begehrt wird. Sie will etwas sein. Sie will sein, was sie sich von sich erträumt.

Kurt Tucholsky über die Romanvorlage: »Ein durch und durch originelles Buch, das den Leser unwiderstehlich in seinen Wirbel von toller Laune, tiefem Gefühl und tragischer und komischer Verstrickung zieht.«

Premiere am 18. Juli 2007.
Die Aufführungsrechte liegen bei der Felix Bloch Erben Theaterverlag GmbH.

Kritiken

Stuttgarter Zeitung | 20.7.2007

Unerhört lebendig

»In der tri-bühne bekommt Irmgard Keun mit Gottfried Greiffenhagens Bühnenfassung ihres Romans ein unerhört lebendiges Denkmal gesetzt… Da zeigt sich, wie sehr die Vorstellung von einer 75 Jahre alten Romanfigur vom ›Glanz‹ dem entspricht, was für viele heute ein ›Superstar‹ oder ›Topmodel‹ ist: Eine glatte Oberfläche, ein bisschen Bedeutung in einer Gesellschaft, in der dem Glück- und Talentlosen anscheinend Hartz IV droht.

Herrlich, wie Anuschka Herbst sich zu Dietrich Lutz‹ Soundtrack zwischen ›Sportpalast-Walzer‹ und ›Ave Maria‹ die Figur aneignet, wie sie deren Ambivalenzen zwischen Geld- und Bildungsmangel, Fehlschlüssen und weisen Erkenntnissen herausarbeitet. Wie sie eine ihrer Zeit verhaftete und doch zeitlose Frau zeigt, die sicheres gesellschaftliches Terrain verlassen hat, die sich in Männerbekanntschaften zu verlieren scheint, aber nie ganz untergeht. Sie ist wie der Satz, der auf der Reklamewand erscheint: ›Ich lass mich nicht kriegen. In mir ist die Kraft von Revolvern‹. Sie steckt an und amüsiert mit ihrer frechen, nassforschen Art, erschreckt mit der Naivität, mit der sie einen Nazi-Überfall beobachtet, aber nicht einzuordnen weiß – und sie zwingt zum Nachdenken.«

Inge Bäuerle
Esslinger Zeitung | 24.7.2007

Feine, sehr humorige Nuancen

»Gottfried Greiffenhagen hat aus Irmgard Keuns Roman ›Das kunstseidene Mädchen‹ eine sprühende, zeitlich nicht festgelegte Bühnenfassung geschaffen, in der die eigenwilligen und zugleich faszinierenden Wortschöpfungen Keuns im Rampenlicht stehen. László Bagossy inszenierte die gefühlstarke Lebensschilderung in Ich-Form als aneinandergeschnittene filmartige Sequenzen.

Anuschka Herbst füllt die schlaglichtartigen Handlungseinheiten mit naiver Lebendigkeit. Immer tiefer taucht sie in die Rolle und füllt alle Facetten dieser tragikomischen Lebens- und Liebessehnsucht mit tiefer Empfindsamkeit.

Die Höhen und Tiefen, die begierigen Anfangshoffnungen, die Frustrationen und die lähmende Erkenntnis, dass das wohl nichts werden wird mit dem Glanz; und die niederschmetternde Befürchtung, am Ende zur ›Hula‹ abzusteigen, lotet sie ohne jegliches Pathos in feinen, sehr humorigen Nuancen aus.«

Petra Bail
Stuttgarter Nachrichten | 20.7.2007

Eineinhalb spannende Stunden

»Die Jagd der jungen Frau nach der Schimäre Glück hält Irmgard Keun in ihrem berühmten Roman pointensicher in dichten Bildern fest. Die dabei gezeichnete Atmosphäre einer Gesellschaft vor dem Kollaps fängt Regisseur László Bagossy mit über vierzig gleichermaßen schlichten wie ausdrucksstarken Kurzszenen von manchmal nur Sekundenlänge ein.

Anuschka Herbst trifft die Komik und den schnoddrig-melancholischen Ton der Romanvorlage genau. Eineinhalb spannende Stunden lang sitzt ihre Doris auf der Bank einer heruntergekommenen Haltestelle und wartet auf den Bus ins ultimative Glück. Mit großen verständnislosen Augen beobachtet Irmgard Keuns Heldin Umtriebe von Nazis und Kommunisten.

Die Darstellerin findet feine Schattierungen des Ausdrucks…, konturiert mit genau getimten Änderungen von Körpersprache und Tonfall die widersprüchliche Persönlichkeit einer Außenseiterin. Kindlich naiv, selbstbewusst und berechnend will diese Doris die Männer beherrschen und liefert sich ihnen doch nur aus.«

Horst Lohr