Der gute Mensch von Sezuan

von Bertolt Brecht |
Regie: Edith Koerber

Brechts »fast schon Klassiker« hatten wir bis 1995 auf dem Spielplan, in der Inszenierung von Gábor Zsámbéki. Inzwischen hat sich die Welt gewaltig verändert und Brechts Parabel ist leider aktueller denn je.

Zum Inhalt:

Die Prostituierte Shen Te, die Verkörperung der Utopie des humanen Miteinanders, erlangt in der Stadt Sezuan durch ihre guten Taten Beliebtheit. Die ökonomische Basis ihrer Mildtätigkeit ist ihr kleiner Tabakladen, der natürlich unter dem Ansturm der Bedürftigkeit zusammenbricht.

In ihrer Not schafft sich Shen Te ihr Alter Ego Shui Ta, der eine rational-ökonomische Denk- und Verhaltensweise vertritt, die sich ausschließlich an den Notwendigkeiten der Produktion und des Marketings orientiert. Der menschliche Faktor wird dabei nur als Element der Produktivität berücksichtigt.

Somit wird im Stück aus dem Gegensatz »gut und böse« der Gegensatz »gut und wirtschaftlich vernünftig«. Bertolt Brecht verpackt sein hochpolitisches Stück in pralles, lebendiges und komödiantisches Volkstheater.

Premiere am Freitag, dem 16. Dezember 2005.
Die Aufführungsrechte liegen bei der Suhrkamp Verlag GmbH, Frankfurt a.M.

Kritiken

KULTUR | 1.2.2006

Bertolt Brecht veraltet? Welch ein Unsinn!

»›Der gute Mensch von Sezuan‹ gehörte über Jahre hinweg zu den besten und – nicht zuletzt von Schulklassen – begehrtesten Inszenierungen des Theater tri-bühne… Wenn sich die Theaterleiterin Edith Koerber jetzt daran gewagt hat, Brechts ›Klassiker‹ erneut zu inszenieren, so verzichtete sie darauf, alles anders zu machen und neu zu erfinden. Vielmehr hat sie Ideen, die ihr einleuchten, übernommen und nur leicht abgewandelt. Das spricht für sie. Originalität ist oft nur das Produkt von Selbstüberschätzung, von mangelnder Bescheidenheit, mangelnder Anerkennung des Gelungenen…

Die Attraktivität des Stücks besteht unter anderem darin, dass es, neben einer bedenkenswerten These, eine Reihe bühnenwirksamer Situationen enthält und nicht zuletzt Witz. Edith Koerber Koerber unterschlägt in ihrer Inszenierung diesen Witz nicht, opfert ihm aber nicht, wie das heute anderswo gern geschieht, den ernsthaften Hintergrund. Insbesondere die Szenen mit den Göttern zeichnen sich durch einen Humor aus, der mit Klamauk nichts zu tun hat.

Bertolt Brecht – veraltet? Welch ein Unsinn! Wer es während der Vorstellung nicht begriffen hat, den weist das Programmheft auf die zahlreichen aktuellen Bezüge hin, die ›Der gute Mensch von Sezuan‹ aufweist. Man kann ihm nur, wie seinerzeit, zahlreiche ausverkaufte Vorstellungen wünschen.«

Thomas Rothschild
Esslinger Zeitung | 20.12.2005

Drei Stunden Spannung

»Von allen Stücken Bertolt Brechts ist die Parabel vom ›Guten Menschen von Sezuan‹ vielleicht sein unbestrittenster Klassiker. Brecht erfüllt hier die didaktischen Intentionen seines epischen Theaters nicht nur mit Bühnenleben, sondern führt die thematische Komplexität auch auf einen einfachen dialektischen Widerspruch zurück. Wie menschliches Miteinander unter den Bedingungen der kapitalistischen Ökonomie möglich sein soll, ist auch mehr als 60 Jahre nach der Uraufführung des ›Guten Menschen‹ eine offene Frage…

Edith Koerbers Neuinszenierung in der Stuttgarter tri-bühne ist in gewisser Weise eine Reverenz an die legendäre Aufführung des ungarischen Regisseurs Gábor Zsámbéki, die bis 1995 im selben Theater gezeigt wurde. Der Tabakladen, die Masken und Kostüme erinnern an das volkstheatralische Vorbild, und bei manchen Zuschauern dürften Erinnerungen wach werden an den damals so ingeniös bespielten Theaterraum. Auch Koerber nützt die räumlichen Möglichkeiten ihrer neuen Doppelbühne…

Dass die Inszenierung, die sich eng an Brechts Szenenanweisungen hält, so eindrucksvoll gelingt, ist wesentlich der Spielfreude des Ensembles und einigen herausragenden darstellerischen Leistungen zu verdanken. Mit Natascha Beniashvili-Zed hat die Tri-Bühne eine äußerst virtuose, glaubhafte Schauspielerin im Ensemble, die jede Nuance der dialektischen Doppelfigur Shen Te/Shui Ta ins Spiel bringt. Auch hinter ihrer Halbmaske ist sie in Stimme, Kopfhaltung, der Intensität der Augen und der expressiven Bewegungen die ideale Verkörperung der Antithese von utopischer Humanität und materiellem Überlebenswillen…

Auch die Skrupellosigkeit dieser elenden Gesellschaft wird vital ausgespielt vom 14-köpfigen, in Mehrfachrollen besetzten Ensemble, in dem Adelheid Bohnet als Hausbesitzerin Mi-Tzü, Karoline Maria Barsch als Witwe Shin, Stefan Kirchknopf als Barbier Shu Fu, Harald Wieczorek als Polizist und Cornelius Nieden als Wasserverkäufer Wang besonderes Profil zeigen.

Dietrich Lutz hat die Songs mit der Musik von Paul Dessau schräg verfremdet arrangiert, doch für Edith Koerbers Inszenierung gilt detailgenaues Spiel hinter allen Masken: mit seinen knapp drei Stunden ein spannender Abend in der Tri-Bühne, der mit Beniashvili-Zeds beschwörendem Appell an alle Theaterbesucher endet…«

Dietholf Zerweck