Der zerbrochene Krug

Der zerbrochene Krug

von Heinrich von Kleist |
Regie: Gábor Zsámbéki

Ein freundschaftlicher Dichterwettbewerb anno 1802 in Bern führte zu einer der klassischen Komödien der deutschen Literaturgeschichte überhaupt – und einer der bis dato meistgespielten dazu: Heinrich von Kleists ›Der zerbrochene Krug‹.

Zum Stück: Ein Gerichtssaal in einem niederländischen Dörfchen zur Winterzeit ist der Schauplatz dieser Geschichte. Eines Morgens erwacht der Dorfrichter Adam nach einer ereignisreichen Nacht wundübersäten Haupts und auch ansonsten in desolatem Zustand. Doch das ist noch das Angenehmste, was der Tag ihm zu bieten hat, denn bei der nachfolgenden Gerichtssitzung stoßen einem angereisten Gerichtsrat die eigenwilligen Untersuchungsmethoden Adams immer saurer auf.

Gleichzeitig wird Adam gezwungen, über seine eigenen Verfehlung zu richten, freilich ohne daß es die anderen Beteiligten wissen, ganz im Gegensatz zum Publikum. Eine Form zur Erzeugung von Spannung also, deren Tradition von der antiken Oedipusgeschichte bis hin zu Alfred Hitchcock reicht.

So versucht Adam verzweifelt, der Schlinge zu entkommen, die sich immer enger um seinen Hals schnürt. Die kriminelle Kreativität, die er dabei an den Tag legt und die unglaublichen Märchen, die er zusammenspinnt, machen das Stück zu einem der komischsten, das die deutsche Literatur zu bieten hat.

Premiere am Freitag, dem 21. März 1997.

Kritiken

Stuttgarter Wochenblatt | 3.4.1997

Handfest, abwechslungsreich, turbulent

»…In diesem Milieu inszenierte Gábor Zsámbéki handfestes, nicht nur den Text stimmlich illustrierendes, sondern auch das Bewegungsspiel nutzendes und so die Gefühlsregungen der handelnden Personen betonendes, abwechslungsreiches, manchmal schon turbulentes Theater.

Stephan Korves als Dorfrichter Adam… war ein hageres, klumpfüßiges Schlitzohr mit Halbglatze, ein schon mehr ur- als volkstümlicher, weniger dem Recht dienender als seine Macht auskostender, sündiger, aber nicht böser, vor allem aber komischer ›Hahn auf dem Misthaufen‹. Als Frau Marthe Rull pochte Hannelore Bähr unerbittlich auf ihr Recht, sie war ein energisches, zeterndes, stures Weib, mit Haaren auf den Zähnen…

Als Herr aus einer anderen Welt… brach Achim Grauer in der Rolle des distanziert-überlegenen Gerichtsrats Walter in das ländliche Geschehen ein… Günther Seywirth als Schreiber Licht war ein Verwandter des Famulus Wagner in Goethes ›Faust‹, ein ›trockener Schleicher‹…

Eine etwas exotische Erscheinung, vernünftig, bis zur Selbstaufgabe zu Kompromissen bereit, ein vor Liebe nicht blindes, sondern sehendes Mädchen war Lale Yanik als Eve. Jungenhaft, unkompliziert und ein wenig naiv gab sich Marcus Michalski als Ruprecht.«

Dieter Schnabel
Esslinger Zeitung | 26.3.1997

Aufs Trefflichste bedient

»Hier, in der Amtsstube des Dorfrichters Adam (Stephan Korves) wird gemobbt und geschlampt, getuschelt und gelogen, daß sich die Balken biegen. Und das im wörtlichsten Sinn, denn Bühnenbildner Csörsz Khell hat die gesamte Registratur des Städtchens Huisum kurzerhand in den aus allen Nähten platzenden Vorratsspeicher des Dorfrichters packen lassen, wo die Akten nicht etwa bearbeitet werden, sondern in trauter Eintracht mit Braunschweiger Würsten auf bessere Zeiten warten.

Adam indes, keineswegs faul, erfreut sich an seinen Mägden…, denen er mit geübtem Griff mehr als einmal an die Wäsche geht. Ein Saustall, mit Verlaub, den erst der geschniegelte Gerichtstrat Walter (gediegen: Achim Grauer) aufräumt.

So nimmt Kleists Uraltsatire ihren Lauf, und alle Theaterfiguren werden vom Ensemble der tri-bühne aufs Trefflichste bedient…«

Helga Stöhr-Strauch
Stuttgarter Zeitung | 24.3.1997

Lachgewitter

»Nicht nur die Literaturwissenschaft, auch das Theater hat sich daran gewöhnt, Kleist mehr als Philosophen denn als Dramatiker zu verstehen. Die metaphysische Ferne, die durch all seine Figuren hindurchscheint, macht sie auf der Bühne zu statuarischen Heiligen des tiefsinnigen Wortes. Mit dem Glauben an Ernst und Würde des dramatischen Spiels räumt Gábor Zsámbéki… durch die Inszenierung des ›Zerbrochnen Krugs‹ in der tri-bühne gründlich auf.

Ein heftiger Wind bläst, nach einem tiefen Atemholen des geschundenen und niedergeschmetterten Dorfrichtes Adam, mit dem die Aufführung beginnt, die Figuren auf die Bühne und dort durch- und umeinander. Zsámbéki verschafft dem Stück das Tempo, das zur Komödie gehört-und durchaus nicht zuungunsten Kleists. Erst die Schnelligkeit, mit der die Worte gegeneinander fechten, bringt ihre komödiantische Qualität zur Geltung…

Stephan Korves als Dorfrichter Adam ist in seinem Element… der sich, koste es, was es wolle, aus der Patsche ziehen muß. Das Teuflische, das der durch die Aufführung vertriebene Tiefsinn sonst der Figur am Schluß andichtet, hat er gar nicht. Für Zsámbéki leibt der Teufel ein Volksaberglaube, der im apokalyptischen Aktenregen von der Decke und im Lachgewitter der Zuschauer untergeht.«

Hannelore Schlaffer
Stuttgarter Nachrichten | 24.3.1997

Minutiös nachgezeichnet

»Amtsmißbrauch gepaart mit sexueller Nötigung und Erpressung – angesichts socher Themen ist ›Der zerbrochene Krug‹… ein nach wie vor aktuelles Stück…

Minutiös – bis hin zu Györgyi Szakács schönen Kostümen – zeichnet Regisseur Gábor Zsámbékis Inszenierung Milieu und Kolorit eines niederländischen Dorfes im 18. Jahrhundert nach. Mit kindlicher Unschuld glauben seine Bewohner an die Lauterkeit des Richters Adam (Stephan Korves), eines drahtigen, von seiner Fleischeslust getriebenen Schürzenjägers. Kein weiblicher Hintern, an dem er sich nicht brutal vergreifen würde. Und wenn der nicht zur Verfügung steht, schlingt er ersatzweise die zarte Brust einer Gans in sich hinein – und bemerkt – in den immer enger werdenden Kreisen, die Achim Grauers dandyhafter Gerichtsrat Walter um ihn zieht-nicht, wie hoffnungslos er sich im Gespinst seiner Lügen verstrickt.«

Horst Lohr