Der Bühnenvorhang: eine Wand von Orientteppichen, deren verschlungene Ornamente jedes seine eigene Geschichte erzählen könnte. Fabeln, Phantasien, Träume sind es auch, die Roland Schimmelpfennig… ineinander montiert und
damit ein Erzähltheater der besonderen Art erzeugt hat. Den viel gespielten Text hat nun László Bagossy in der Stuttgarter tri-bühne neu inszeniert. Für den ungarischen Regisseur ist es die siebte Inszenierung
am Theater von Edith Koerber – eine Glückszahl für Bagossy, dem eine starke, konzentrierte Aufführung
gelungen ist…
Das Rauschen in den kommunizierenden Röhren der Hochhausbewohner hat in Bagossys Inszenierung eine Melodie: ›meine Ruh‹ ist hin / mein Herz ist schwer / Ich finde sie nimmer / und nimmermehr‹ singt ein Sopran am Anfang
irgendwo aus dem Off, und gleich wird Sebastian Hubers musikalisches Arrangement zum Endlos-Loop über eineinhalb Stunden. Goethes Gretchenworte sind das Leitmotiv für die Abgründe von Furcht und Begehren dieser kontaktarmen, selbstgesprächigen Figuren, deren Monologe Schimmelpfennig kunstvoll ineinander führt.
Regisseur Bagossy lässt sie wie ein Hör-Oratorium, ohne große szenische Zutaten, spielen: die fünf Sprecher sitzen auf weißen Plastikstühlen vor schwarzem Hintergrund nebeneinander dem Publikum gegenüber, nur ein voller
Mond steht am Himmel dieser heißen Nacht, und die Mikroports, welche den Schauspielern auf die Stirn geklebt sind, bringen die Nuancen ihrer Sprachexkursionen akustisch noch deutlicher hervor.
In ihren Rollen beeindrucken die fünf Akteure sowohl darstellerisch wie als Sprecher des poetisch vielschichtigen Textes. Christian Sunkel-Zellmer ist ein zuweilen vergrübelt dreinblickender, knitzer Hausmeister, der mit suchendem Instinkt schließlich eine neue Liebe findet. Christian Werners Karpati, der lüsterne Voyeur vom Nachbarhaus und unfreiwillige Flaschengeist in der Wohnung Nummer 32, von deren Balkon er am Ende im freien Fall zu Boden kommt, bleibt etwas blass; dafür ist Manoel Vinicius Tavares da Silva als liebestrunkener Kalil, dessen Leidenschaft ihn ins Verderben stürzt, ein praller Typ. Großartig in ihrer Gegensätzlichkeit sind die beiden Frauen getroffen: Natascha Kuch als liebessehnsüchtige Fatima, deren handfester Eifersucht nur mit einem Küchenmesser Genugtuung verschafft werden kann; und Sofie Alice Miller als in orientalischen Märchen schlummernde Franziska, die unter ihrer Wollmütze aus behüteten Träumen geweckt werden will.