Die Arabische Nacht

von Roland Schimmelpfennig |
Regie: László Bagossy

In einem kargen Hochhaus. Eine hochsommerliche Nacht. Irgendwo. Ab dem siebten Stockwerk gibt es kein Wasser. Man kann es in den Wänden rauschen hören, aber die Wasserhähne sind versiegt. Trockene Hitze, als sei man in der Wüste. In Appartement 7-32 begeben sich fünf einsame Großstadtexistenzen auf eine fantastische Reise zwischen Traum und Realität. Sie träumen den gleichen Traum, eine Liebesgeschichte aus fünf Perspektiven.

Im Stück kommen vor: Eine fluchbeladene Schönheit, die jede Nacht in den Schlaf des Vergessens sinkt. Exotische, hitzeflirrende und von Beduinen bevölkerte Landschaften. Ein das Wasser suchender und die Liebe findender Hausmeister. Ein liebestrunkener Orientale, dessen Leidenschaft ihn ins Verderben stürzt. Ein lüsterner, unfreiwilliger Flaschengeist im freien Fall. Ein defekter Fahrstuhl. Eine liebestrunkene Orientalin, deren Leidenschaft das Verderben bringt.

Kritiken

Esslinger Zeitung | 16.10.2015

Starke, konzentrierte Aufführung

Der Bühnenvorhang: eine Wand von Orientteppichen, deren verschlungene Ornamente jedes seine eigene Geschichte erzählen könnte. Fabeln, Phantasien, Träume sind es auch, die Roland Schimmelpfennig… ineinander montiert und damit ein Erzähltheater der besonderen Art erzeugt hat. Den viel gespielten Text hat nun László Bagossy in der Stuttgarter tri-bühne neu inszeniert. Für den ungarischen Regisseur ist es die siebte Inszenierung am Theater von Edith Koerber – eine Glückszahl für Bagossy, dem eine starke, konzentrierte Aufführung gelungen ist…

Das Rauschen in den kommunizierenden Röhren der Hochhausbewohner hat in Bagossys Inszenierung eine Melodie: ›meine Ruh‹ ist hin / mein Herz ist schwer / Ich finde sie nimmer / und nimmermehr‹ singt ein Sopran am Anfang irgendwo aus dem Off, und gleich wird Sebastian Hubers musikalisches Arrangement zum Endlos-Loop über eineinhalb Stunden. Goethes Gretchenworte sind das Leitmotiv für die Abgründe von Furcht und Begehren dieser kontaktarmen, selbstgesprächigen Figuren, deren Monologe Schimmelpfennig kunstvoll ineinander führt.

Regisseur Bagossy lässt sie wie ein Hör-Oratorium, ohne große szenische Zutaten, spielen: die fünf Sprecher sitzen auf weißen Plastikstühlen vor schwarzem Hintergrund nebeneinander dem Publikum gegenüber, nur ein voller Mond steht am Himmel dieser heißen Nacht, und die Mikroports, welche den Schauspielern auf die Stirn geklebt sind, bringen die Nuancen ihrer Sprachexkursionen akustisch noch deutlicher hervor.

In ihren Rollen beeindrucken die fünf Akteure sowohl darstellerisch wie als Sprecher des poetisch vielschichtigen Textes. Christian Sunkel-Zellmer ist ein zuweilen vergrübelt dreinblickender, knitzer Hausmeister, der mit suchendem Instinkt schließlich eine neue Liebe findet. Christian Werners Karpati, der lüsterne Voyeur vom Nachbarhaus und unfreiwillige Flaschengeist in der Wohnung Nummer 32, von deren Balkon er am Ende im freien Fall zu Boden kommt, bleibt etwas blass; dafür ist Manoel Vinicius Tavares da Silva als liebestrunkener Kalil, dessen Leidenschaft ihn ins Verderben stürzt, ein praller Typ. Großartig in ihrer Gegensätzlichkeit sind die beiden Frauen getroffen: Natascha Kuch als liebessehnsüchtige Fatima, deren handfester Eifersucht nur mit einem Küchenmesser Genugtuung verschafft werden kann; und Sofie Alice Miller als in orientalischen Märchen schlummernde Franziska, die unter ihrer Wollmütze aus behüteten Träumen geweckt werden will.

Dietholf Zerweck
Stuttgarter Zeitung | 16.10.2015

Faszinierendes Vexierspiel

Eine heiße Nacht… Der Hausmeister und die Bewohner in den Apartments, die sich in dieser schwülen Nacht begegnen und verfehlen werden, sind mit Mütze und Anorak gekleidet wie im tiefsten Winter. Der Augenschein trügt also. Wie so vieles in dieser ›Arabischen Nacht‹ in der tri-bühne rätselhaft und in der Schwebe bleibt. Das liegt jedoch weniger an der minimalistischen Inszenierung von László Bagossy als am Stück selbst… Hier zeigt sich der Autor in seiner ganzen Kunstfertigkeit, als Textvirtuose, der einzelne Erzählfäden zu einem grandiosen Handlungsteppich verknüpft und ein faszinierendes Vexierspiel zwischen orientalischen Fantasien und dem Nachtleben in einem Hochhaus schafft.

Die fünf Darsteller in ihrer als Black Box eingeschnittenen Bühne bleiben die ganzen 90 Minuten über sitzen. Jeder auf seinem Stuhl, statisch und mit verhaltenen Stimmen. Nur ihre Monolog-Sentenzen treffen pfeilschnell und punktgenau wie in einem Flipperautomaten aufeinander. So entwickelt sich das Traumgewebe aus verschiedenen Mündern simultan.

Dorothee Schöpfer