Die Hose

Die Hose

Ein bürgerliches Lustspiel
von Carl Sternheim |
Regie: Adriana Altaras

Ein delikates Kleidungsstück bzw. der Verlust desselben ist der Motor einer der klassischen Komödien des 20. Jahrhunderts. Luise Maske brachte ihren Ehemann Theobald in eine ausgesprochen peinliche Situation: Auf offener Straße, fast unter den Augen des vorbeifahrenden Königs und inmitten der jubelnden Massen löste sich ein Band an der Hose der Frau, und das Kleidungsstück ging zu Boden.

Der erboste Theobald fühlt sich kompromittiert und fürchtet um seine 700 Taler Jahresgehalt. Aber der Vorfall hat unerwartete Folgen: Zwei Männer sind beim überraschenden Anblick der fallenden Hose in heftiger Leidenschaft zu Frau Maske entbrannt und beziehen als Untermieter die Maskesche Wohnung. Bei der nachfolgenden Schlacht um die Gunst Luises werden Nitzsche, Wagner und eigene spießbürgerlich-hausbackene Philosphien als Waffen ins Feld geführt.

Über allem und allen weht der kleinbürgerliche Geist der wilhelminischen Großmannssucht. Luise kommt der Hahnenkampf nicht eben ungelegen, doch es entwickelt sich alles anders als erwartet. Am Ende jedenfalls erstrahlt Theobald Maskes kleines Reich in neuem Glanz, sein Geldbeutel ist wohlgefüllt, eine Affäre bringt ihm Abwechslung im ehelichen Alltag und die Widersacher sind vertrieben. Luise aber findet im Kirchgang einen Ausgleich für erlittene Enttäuschungen.

Premiere am Freitag, dem 29. Mai 1998.
Die Aufführungsrechte liegen beim Felix Erben Verlag für Bühne, Film und Funk in Berlin.

Kritiken

Stuttgarter Wochenblatt | 16.7.1998

Gutes Einfühlungsvermögen

»Die 1960 in Zagreb geborene, in Berlin lebende, mit mehreren Preisen ausgezeichnete Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras hatte in ihrer Inszenierung nicht nur ein genaues Gehör für Carl Sternheims eigenartige, für sein Werk typische, verknappte Sprache, sie bewies auch ein gutes Einfühlungsvermögen für die gesellschaftlichen Umstände der Zeit.

So denunzierte sie die Personen nicht als Witzblattfiguren, sondern zeichnete sie mit den Stilmitteln der Diktion und der Bewegungen als Vertreter ihrer Zeit, ganz im Sinn von Carl Sternheim. Oder mit anderen Worten, ihre Inszenierung zeichnete sich nicht durch Originalität, sondern durch Werktreue aus, zumal die Originalität schon vom Autor geliefert wurde.

Wilhelm Schneck als Theobald Maske war im Habitus und im Auftreten der einem Bilderbuch der Wilheminischen Zeit entsprungene kleinbürgerliche Beamte, frisch, fromm, fröhlich, aber nicht frei, auf Ordnung und Unterordnung bedacht, ein Moralapostel, dem es selbst an Sitte und Anstand mangelt.

In Lale Yanik als Luise Maske hatte er eine hübsche, unbefriedigte, ihm untertänige (Putz-)Frau und Köchin, der das Malheur mit der Hose passiert, für das sie büßen muß. Pathetisch, mit falscher Leidenschaft spielte Robert Atzlinger den Frank Scarron.

Als Richard-Wagner-Fan Benjamin Mandelstam hüstelte sich Marcus Michalski durch die Geschichte. Als frustrierte, aber nicht wunschlose Jungfer Gertrud Deuter kam Kathrin Hildebrand bei Theobald Maske zum Ziel. Als skurrilen Eigenbrötler skizzierte Günther Seywirth den ›wissenschaftlich tätigen‹ Herrn Stengelhöh.«

Dieter Schnabel
Stuttgarter Nachrichten | 3.6.1998

Feines Gespür für das Groteske

»›Verflixt, nicht zugenäht!‹ So oder ähnlich hätte Luise Maske fluchen können, als ihr beim kaiserlichen Festumzug das Schlüpferband den Dienst versagte und sie und ihren Gatten in eine mißliche Situation versetzte.

Aber ach, Luise. Kaum eine ist wie diese. Sie flucht nicht, sie schimpft nicht, sie seufzt höchstens. In der tri-bühne, wo der erste Teil von Carl Sternheims Maske-Trilogie Premiere hatte, weint sie sogar ein bißchen. Alles andere, was ihr braves Bürgerinnenherz sonst noch begehrt, trägt sie still und geduldig zur sonntäglichen Messe. In der tri-bühne hat Lale Yanik die schwere Bürde aus Aufopferungsbereitschaft und allgemeiner Verwirrung zu tragen. Daran läßt die bissig überzeichnete, vor keiner Überdrehtheit zurückschreckende Inszenierung von Adriana Altaras kaum einen Zweifel.

Mit feinem Gespür für das Groteske treibt die Regisseurin den lächerlichen Konflikt zwischen schöngeistig verbrämtem Untertanengeist und sexueller Überreaktion immer neu auf die Spitze und läßt keine Gnade mit den Figuren walten. Krampfhaft verzerrt erscheinen die Pirouetten, mit denen sie ihren Bedürfnissen auszuweichen versuchen. Denn es gibt nicht eine(n), die/der es wagt, das auszusprechen, was sie/ihn wirklich bewegt: Geld und Sex. Man reibt sich die Augen und erkennt dank Besetzungsliste all jene Schauspieler wieder, mit denen die tri-bühne bereits in ›Shopping und Fucking‹ für eine Analyse des ›Ist-Zustandes‹ unserer Gesellschaft sorgt…

Adriana Altaras Spielfassung besitzt eine eigene Sprache, die so gar nichts mit der Kunstsprache des Autors zu tun hat. Und das Schönste: Sie gewährt jedem Schauspieler die Möglichkeit, sein komödiantisches Können unter Beweis zu stellen: Wilhelm Schneck gibt den Parvenu Theobald Maske mit kindlich-naiver Verschlagenheit, die er irgendwann in kapitalträchtige Weltgewandtheit ummünzen wird. Der ›Dichter‹ Frank Scarron (Robert Atzlinger) besitzt kaum die geistige Kapazität, sich zwischen Nietzsche und Dandy zu entscheiden. Als philosophierender Playboy ist er dagegen unschlagbar. Marcus Michalski kämpft als asthmatischer Schmalbrust-Wagnerianer Mandelstam erfolglos gegen den grassierenden Antisemitismus an, und Herr Stengelhöh (Günther Seywirth) weiß sich ob seiner wissenschaftlichen Erfahrungen durchaus klug aus der erotischen Misere zu ziehen.«

Hanna Mainzer
Cannstatter Zeitung | 3.6.1998

Gelungener Abend

»Adriana Altaras läßt mit ihrer Sternheim-Inszenierung keinen Zweifel daran, für wen ihr Herz schlägt. Es sind die Frauen (Lale Yanik als leicht verschusselte Luise und Kathrin Hildebrand als ihre unter erotischer Spannung stehende Nachbarin Gertrud Deuter), die in der Regel zwar nicht viel zu melden haben, angesichts der eintretenden Turbulenzen jedoch findig und lüstern ihre kleinen erotischen Machtpositionen gegenüber einer von Nietzsche berauschten Männerwelt stabilisieren wollen. Wie Verschwörerinnen messen und planen sie ein neues Dessous, kaum ahnend, daß Großmannssucht und Kriechertum jede Regung zunichte machen…

Csörsz Khell entwarf ein einfach anmutendes Bühnenbild aus dezentem Plüsch und funktionierendem Gestänge, das auch der Zuschauer auf seinem Weg zum Platz passieren muß. Was ihn dann erwartet, ist Komödientheater pur: Kaum eine Regung, die die Regie nicht mit horrenden Überzeichnungen versieht…

Wilhelm Schneck als großspuriger Kleingeist mit ersten erkennbaren Tendenzen zum Snob, Robert Atzlinger als mehr schöner denn geistiger Nietzsche-Verschnitt Frank Scarron, und schließlich Marcus Michalski, der als schmalbrüstiger Jude Mandelstam dem ganzen chauvinistischen Treiben nur hustenden Protest entgegensetzen kann. Herr Stengelhöh indes (Günther Seywirth), ganz distinguierte Eleganz, genießt, schweigt und pflegt ansonsten seine Macken.

Ein gelungener Abend, ein begeistertes Publikum und lang anhaltender, wohlverdienter Applaus.«

Helga Stöhr-Strauch
Stuttgarter Zeitung | 2.6.1998

Eine Revolution im Herzen

»Die Bizeps und das Gefühl schwellen gleichermaßen an, wo zwar nicht die Hüllen der Sittlichkeit, wohl aber die Hosen fallen. So zumindest geschah es der braven Frau Luise Maske: sie wahrte die Maske der bürgerlichen Wohlanständigkeit, blieb gesittet gekleidet, aber es löste sich ihr Hosenband, das Dessous rutschte auf öffentlicher Straße und vor den Augen aller Welt zu Boden – und so kehrte sich das Unterste zuoberst.

Der komische Vor-Fall entfesselt im entsetzten Ehemann die intimsten Gefühle der Wut gegen die unschuldige Frau und in zwei lüsternen Zuschauern die schwärmerischste Leidenschaft für die nachlässige Spaziergängerin. Gewissermaßen im Duett bringen die beiden vor der verblüfften Kleinbürgerin die hohen Worte Nietzsches und die höchsten Töne Wagners zum Erklingen…

Eine Revolution bricht denn auch tatsächlich durch den peinlichen Vorfall im Herzen der Luise Maske aus. Sie mißversteht die Leidenschaft ihrer Untermieter, nimmt für Liebe gegen sich selbst, was nur Selbstgenuß der Eitelkeit ist. Lale Yanik als Luise Maske macht in all ihrer zierlichen Unerschrockenheit nicht nur die Wirkung glaubhaft die sie auf die Männer hat, sondern auch die, die der Männer Schwärmerei bei ihr erzeugt. Wendig schlängelt sie sich durch die Schläge des Ehemanns ebenso hindurch wie durch die pathetischen Worte und bravourösen Gesänge der Verehrer. Ihre Augen werden größer und größer, je klarer es ihr wird, daß bei all den Adressen, die sich an sie richten, sie selbst am wenigsten gemeint ist. Die Nachbarin, Frau Deuter, hat im Herzen der Frau Maske die kühnsten Hoffnungen geweckt, die Moral ist ihr längst davongerutscht wie einst das zu locker sitzende Kleidungsstück. Luise Maske hofft auf Liebesabenteuer – aber sie kennt die Männer nicht: diese wollen nicht sie verehren, sondern nur sich selber hören.

Das Spiel der beiden Frauen ist das faszinierende Zentrum der Aufführung. Vor allem Kathrin Hildebrand als Kupplerin im Kleinbürgermilieu zieht alle Register der Verführung: sie beginnt mit der Bewunderung der schönen Nachbarin und steigert ihre Komplimente fast bis zur lesbischen Koketterie; sie fährt fort mit einer Selbsterniedrigung, indem sie ihre eigene Unattraktivität zur Schau stellt, und läßt dann das Lob der Liebhaber folgen. Schläue und Lüsternheit, Infamie und Lebenshunger paaren sich im Mienenspiel von Kathrin Hildebrand, und eine Bewegungsstrategie, so raffiniert wie die ihre, muß die arglose Frau Maske in die Arme der Verehrer treiben…«

Hannelore Schlaffer
KULTUR | 1.6.1998

Trefflich

»Köstlich die Szenen weiblicher Verschwörungsseligkeit, denen im dritten Akt ein Schaukampf der Hähne folgt. Luise, die im Hintergrund dem Raisonnement der Eitelkeiten folgt, begreift schließlich, daß sich ihre Sehnsucht nicht erfüllen wird, daß die Liebesschwüre der Männer letztlich nur einen Adressaten haben: das eigene Ich. Lale Yanik ist eine bezaubernde Luise Maske. Adriana Altaras läßt Robert Atzlinger als Scarron und Marcus Michalski als Mandelstam die Stilisierung der Typen in die Karikatur treiben. Wie aufgedrehte Spielzeugfiguren spulen sie ihr eingefleischtes Programm aus Machtphantasien und geistigen wie körperlichen Defektkompensationen ab… Jeder ist seines nächsten Prellbock. Die Unwandelbarkeit der Figuren hat System, ist Garant der Sternheimschen Komik. Trefflich wie sich in dieser Aufführung der Automatismus der Mimik mit dem Sakkato einer zum Zerreißen gespannten Sprache verbindet. Kathrin Hildebrand als Nachbarin Deuter gelingt die Gratwanderung zwischen Stilisierung und Nuance besonders gut. Und so endet Carl Sternheims Lustspiel: Für alle am Hosendebakel Beteiligten gibt es ein kleines Happy-Ending.«

Gabriele Hoffmann