Die kahle Sängerin

Die kahle Sängerin

von Eugène Ionesco |
Regie: Gábor Zsámbéki

»Die kahle Sängerin« ist einer der Klassiker des absurden Theaters. Aber – vielleicht ist das Stück gar nicht so absurd. Zumal heute nicht, im Zeitalter der mobilen, grenzenlosen und permanenten Kommunikation. Die Realsatire spielt sich in diesen Tagen ja oft genug überall dort ab, wo Menschen zusammenkommen.

Vorgeführt wird in »Die kahle Sängerin« das gesteigerte Austauschbedürfnis von Menschen, die (sich) eigentlich nichts zu sagen haben. Fast wie in einem klinischen Versuch – aber mit einer großen Portion grotesken Humors – führt Ionesco Möglichkeiten vor, wie mit großem rhetorischem Aufwand ein Minimum an Sinn produziert wird.

Das Ehepaar Martin besucht das Ehepaar Smith. Vorgeblich befreundet, sind die vier einander fremd. Nur schwerlich und stockend entspinnt sich eine Abendunterhaltung, die durch verunglückte Anekdoten eines Feuerwehrhauptmannes und pseudo-detektivische Ermittlungen des Dienstmädchens Mary »aufgelockert« wird. Die Aggressivität steigert sich zum Krieg im Wohnzimmer. Jeder gegen jeden, verbal ausgetragen. Die Zungen sind die Waffen, Silben und Wortfetzen die Munition.

Premiere am 5. Oktober 2000.
Die Aufführungsrechte liegen bei der Theater-Verlag Desch GmbH.

Kritiken

Stuttgarter Zeitung | 7.10.2000

Die Welt in Trümmern

»In der ›kahlen Sängerin‹ wählt Ionesco die damals beliebte Umgebung des englischen Wohnzimmers zur Kulisse, in dem sich ein Ehepaar langweilt, ein Besuch unangemeldet eintrifft und ein Dienstmädchen sich schlecht benimmt. Anders aber als bei Arthur Miller oder Edward Albee werden hier keine Seelen analysiert. Die Personen zerfleischen sich nicht zugunsten einer misanthropischen Psychologie, sie zersetzen die Sprache, um eine ganze Welt in Trümmer zu legen…. Die Menschen sind Marionetten ihrer Reden, die Reden sind Harlekine, der Fantasie entsprungen.

So lassen sich Kinder erfinden, die ein rotes und ein weißes Auge haben; so kann ein Ehepaar daherkommen, das nicht weiß, dass es verheiratet ist und dies erst im Laufe eines bohrendes Gesprächs entdeckt; so kann der traurige Feuerwehrhauptmann durch die Stadt ziehen, um nach Feuer zu suchen und – traditionelle Symbolik – seine Geliebte von der nächsten Straßenecke im gutbürgerlichen Ambiente wiederfinden. Freilich läuft neben der Sprachreflexion auch… Kritik an der Gesellschaft und ihren Konventionen einher.«

Hannelore Schlaffer
Esslinger Zeitung | 7.10.2000

Wahrhaft doppelbödig

»Zsambéki inszeniert das Stück wahrhaft doppelbödig, ohne doppelten Boden zwar, aber dafür mit Wänden, die Stoffbahnen, und mit Standuhren, die Geheimtüren sind…

Allen Furor bricht die Regie durch Überzeichnung. Das Augenzwinkern des Feuerwehrhauptmanns gilt auch dem Stück selbst… Die tri-bühne parodiert Ionescos Theater des Absurden, parodiert also die Parodie der bürgerlichen Komödie: Da brummt dem Publikum der Kopf nicht nur vom wabernden Pfeifenrauch. So lässt sich eindrucksvoll besichtigten, was heute noch dem Stück abzugewinnen ist, bei dessen Niederschrift es Ionesco selbst ›richtig übel‹ wurde. ›Do you understand?‹, fragt die Stimme vom Band überm Schlusstableau. ›Eh, no‹ lautet die Antwort. Dann fällt der Vorhang.«

Jan-Arne Sohns
Stuttgarter Nachrichten | 7.10.2000

Hochform

»Ist das noch unser absurder Theaterklassiker, der sich so wunderbar mit den Instrumenten der lingustischen Analyse erschließen ließ? Regisseur Gábor Zsámbéki, der mit seiner großartigen Arbeit sämtliche Schauspieler zur Hochform auflaufen ließ, macht uns weise lächelnd einen Strich durch die Rechnung. Er nimmt den 50 Jahre alten Stoff so ernst, wie es in ›Big Brother‹-Zeiten überhaupt noch möglich ist. Die Absurdität ist Alltag, die Kommunikationslosigkeit Realität. Was also liegt näher, als den Stückschluss so zu verändern, dass eben nichts mehr von vorne anfängt?

Das Publikum ging am Premierenabend begeistert mit. Überwog doch die Freude über Schauspielkunst und Regiekönnen die bitterernste Botschaft des Abends. Oder hat man sich an den Wahnsinn gewöhnt?«

Helga Stöhr-Strauch