Die Komödie der Irrungen

Die Komödie der Irrungen

von William Shakespeare |
Regie: Edith Koerber

Das Stück hält, was der Titel verspricht: es ist eine Komödie wie sie im Buche steht. Was jedoch die Zuschauer nach Herzenslust amüsiert, ist ein Alptraum für die Beteiligten. Denn sie irren über sich selbst. Spätestens nach der zweiten, dritten Verwechslung stellt sich die Frage: Wer bin ich? Das, wofür ich mich halte, oder das, wofür mich meine Umwelt hält?

Zwei Zwillingspärchen, die zur selben Stunde im selben Gasthof zur Welt gekommen und kurz darauf durch ein Schiffsunglück auseinandergerissen worden sind, begegnen sich nach vielen Jahren der Suche nacheinander wieder. Aber der kurze Zeitraum unmittelbar vor der Begegnung gibt Shakespeare die Möglichkeit, die Hauptdarsteller durch ein Feuerwerk von Irrungen und Wirrungen zu schicken. Glück und Unglück werden dabei ungleich verteilt.

Wird der eine Bruder mit Geld und Gold, Liebe und Anerkennung überhäuft, so muß der andere mit Zwangsjacke, Verhaftung und Kellergefängnis vorliebnehmen.

Premiere am Freitag, dem 1. Dezember 1995.

Kritiken

Süddeutscher Rundfunk | 6.12.1995

Renner des Hauses

»Hier sind Komik und Tragik Nachbarn. Die Story ist antik, schon Plautus hat mit den Zwillingen gespielt… [Shakespeare] verdoppelt die Zwillinge – auch die Diener der zwei Kaufmannssöhne sind getrennte Zwillinge – und vervielfacht dadurch auf geniale Weise die komischen Mißverständnisse. Und das nun ist Theater nach dem Herzen und nach dem artistischen Können der tri-bühne-Spieler. Wilhelm Schneck, der doppelte Kaufmannssohn, ist einmal der Eheflüchtling, der seine Frau vertrocknen läßt und dafür im Bordell den Gockel macht. Und Achim Grauer sein doppelter Diener Dromio, der jedes Mißverstehen, jeden scheinbar falsch befolgten Befehl spürt. Da der Zuschauer schnell weiß, wie der Hase läuft, muß Regisseurin Edith Koerber das Hakenschlagen in immer wahnsinnigeres Tempo treiben. Das ist auf dem sandglatten Marktplatz von Ephesus ein Spiel mit atemberaubender Akrobatik. Ich habe Shakespeare selten so rasant, so witzig, so schlagfertig, so abgründig komisch gesehen…

Shakespeare in einem Sprint von eins-fünfzig! Das wird ein Renner des Hauses und könnte selbst hartgesottene Schulklassen wieder fürs Theater begeistern.«

Winfried Roesner
Stuttgarter Nachrichten | 5.12.1995

Vorzüglich agierend

»Auch Shakespeare hat sich zu politischen Fragen des elisabethanischen Zeitalters geäußert. Er tat es mit den Mitteln seiner Kunst und wurde verstanden: Die Themen wurden in andere zeitliche und geographische Kontexte verpflanzt und konnten so ohne Gefahr diskutiert werden. tri-bühne-Chefin Edith Koerber sagt es konkreter, indem sie den Schauspieler Stephan Korves immer wieder aus der Handlung treten und (durchaus richtige) spitze Worte verlautbaren läßt…

Wie gewohnt, kann sich Edith Koerber ganz auf ihre Truppe verlassen. Achim Grauer (als herrlich gewitzter doppelter Diener Dromio) und Wilhelm Schneck (der zwiefache Antipholus) überragen das vorzüglich agierende Ensemble.«

Hartmut Zeeb
Stuttgarter Zeitung | 5.12.1995

Theater des Tempos

»So manchem Spaßvogel, der aus Versehen statt ins Kino ins Theater geriet, widerfuhr es, daß er die Komödie dort nicht im mindesten komisch fand. Je strahlender die Aura eines klassischen Dichters, desto tiefsinniger sein Humor – und desto trauriger seine Komödie. Im allgemeinen macht auch Shakespeare keine Ausnahme von dieser Regel, es sei denn, man bekommt ihn von der Truppe der tri-bühne präsentiert.

Dieses Theater möchte man mittlerweile das ›Theater des Tempos‹ nennen: Sein bevorzugter Stilgestus ist die Variation des Zeitablaufs im Spiel; die Zeit wird gedehnt oder gerafft, melancholische Leere nistet sich zwischen die Worte ein, oder aber die Wörter stolpern hastig übereinander und die Gesten auch – und in diesem zweiten Fall wird es komisch. Die Forcierung des Tempos ist gute alte und vor allem englische Komödientradition und daher Shakespeares ›Komödie der Irrungen‹, die nun Edith Koerber inszeniert hat, gerade angemessen.«

Hannelore Schlaffer