Guantánamo
Ein junger Mann aus Hamburg reist nach Delhi, um eine Erbschaft anzutreten. Er ist deutscher Staatsangehöriger, hat aber einen indischen Hintergrund: er heißt Raschid. Das wird ihm zum Verhängnis. Er unternimmt eine Stippvisite nach Pakistan, wo er in eine Demonstration gerät und verhaftet wird. Ausgeliefert an die Amerikaner, beginnt seine wahnwitzige Reise, eine moderne Odyssee, die ihn um den halben Globus führt und mit einem schmerzhaften Ruck zum Stillstand kommt. Unserem Helden werden die Augenbinden, die Ohrenklappen, die Handschuhe abgenommen, die ihm jegliche Orientierung verunmöglichten. Und er weiß trotzdem nicht, wo er sich befindet: in Guantánamo auf Kuba. »Hier ist die Reise zu Ende. Er ist angekommen. Irgendwo auf der Erde, mehr weiß er nicht.« Mit der Ankunft, mit dem Stillstand beginnt eine andere Odyssee, die Reise in der Innenwelt. Das ist die einzige Bewegungsfreiheit, die den Gefangenen noch bleibt…
Dorothea Dieckmann hat sowohl im Roman wie auch in der Bühnenbearbeitung auf jeglichen Naturalismus verzichtet und Kornelia Boje setzt diese Linie konsequent fort. Kein Tropfen Theaterblut, keine Schläge oder nachgestellte Folter sonstiger Art, noch nicht einmal Militärstiefelgetrampel. Dafür entsteht unter ihrer Regie etwas Verblüffendes: Poesie. Der subtile literarische Text und die poetischen Bilder bringen uns diesen armseligen Gefangenen viel näher, machen ihn ungleich verstehbarer als es eine noch so realitätstreue Inszenierung vermag.
Uraufführung am 24. November 2006 im Rahmen des 8. Stuttgarter Europa Theater Treffens (SETT 2006).
Die Aufführungsrechte liegen bei Klett-Cotta, Stuttgart.