Importierte Exponate
Importierte Exponate – Ein kleiner Prolog
Es heißt: Im Wein liegt die Wahrheit, doch im Schnaps schläft die Phantasie. Die Phantasie ist das Geschenk der Götter an den Menschen. Durch sie verwandelt sich der Alltag in Literatur; in jeder Bewegung steckt ein Tanz und die Worte erklingen als zauberhafte Musik. Dank der Kraft der Phantasie können wir die Welt und uns selbst als schöne Kunst betrachten. Denn nur im Betrachten des Gegenübers kann der Mensch sein Selbst entdecken. Schon bei Hegel ist zu lesen: »Immer, wenn sich jemand am Zinken kratzt, bemerke ich, dass ich niesen muss«.
Aus diesem Grund hat sich der Mensch die Kunstausstellung erdacht. Hier akzeptieren wir die Spiegel, die uns vorgehalten werden. Doch um eine Ausstellung fachgerecht zu kuratieren, benötigt man drei Dinge:
Erstens den Blick für das richtige Verhältnis: Denn es ist nicht nur das Ausstellungsstück an sich, sondern die Spannung zwischen den einzelnen Exponaten, die im Besucher die Reaktion und den Dialog stimuliert. Zweitens Trinkfestigkeit: eine Vernissage sollte man nicht nüchtern betreten und darf man vor allem nie nüchtern verlassen. Und drittens bzw. zu guter Letzt die Exponate selbst: ohne den Ausstellungsgegenstand keine Ausstellung. Und auch keine Fördergelder.
Mit großer Sorgfalt und feinem Sinn für das dramatische Detail zusammengestellt sind die Exponate dieses Abends, die Ihnen im Folgenden vorgestellt werden:
Exponat 72B. Titel: »Konstantin, der bücherwurmende Eindringling«:
Durch seine mächtige Präsenz wirkt dieser Haudegen wie ein in Schieferplatten gepresster Gigant. Doch sein Kern ist aus Watte geformt: das Weiche ist ihm Gesetz und die Lieblichkeit ist seine Sprache.
Exponat 743/425679 – C2H6O. »Sibylle, die dürstende Romantikerin«:
Die franziskanische Liebe zu Tieren ist ebenso ihr Attribut wie die markanten Augengläser, die man in vielen Darstellungen ihrer Figur findet. Sie deuten auf die Weitsicht und den nüchternen Scharfblick hin, mit dem sie in den Legenden immer wieder die Wahrheit aufdeckt.
Exponat X vier eins U, genannt: »Vinnie, der stromhandwerkende Kubaner«:
Seine zarte Gestalt verleiht ihm etwas Verletzliches und Kindliches, das beim Betrachter sofort den Beschützerinstinkt weckt. Als Meister der Elektrik borgt er seine philosophische Ansicht von Heraklit: »Alles fließt, vor allem der Strom«. Auf seine exotische Herkunft reagiert man mit Neugier und Zuvorkommenheit. (Das Exponat wurde aus der Karibik importiert und soll beizeiten auch wieder an das dortige Handwerkermuseum zurückgegeben werden.)
Exponat 2A, »Nana, die animierdamende Geschäftsführerin«:
Das Wesentliche dieses Exponats ist die ständige Geschäftigkeit. Das Schuften ist Nanas Makel. Eine gewisse kecke Aufgeblasenheit ist ihr attraktiver Charme.
Exponat 18 1/2. »Krüger, der orchestergewaltige Solist«:
Wie schon bei seinen beruflichen Ahnen, den Minne- und Bänkelsängern ist es auch Krügers Aufgabe, auf unterhaltsame Weise dem Volk den Spiegel vorzuhalten. Die Fröhlichkeit, die sein Wesen ausmacht, drückt er in Noten, Worten und Zeichen aus.
Exponat 1, »Pacinski, der Schinder«:
Als ausschließlich gedankliches Konzept ließ sich für dieses Herrschaftssymbol in der gesamten Kunstgeschichte keine geeignete Form finden. Das Pacinski-Syndrom wird nur in der Metapher manifest. Seine Omnipräsenz wird oft in der listigen Gestalt des Fuchses repräsentiert. Man muss jedoch anmerken, dass die Klugheit des Fuchses generell oft überschätzt wird, weil man ihm die Dummheit der Hühner als Verdienst anrechnet.
Denis Kundic
wurde 1977 im schwäbischen Backnang geboren. Seine Eltern stammen aus Bosnien und sind 1970 nach Deutschland ausgewandert. Schon während seinem Philosophiestudium in Berlin hat er Drehbücher geschrieben und lektoriert; mehrere Kurzfilme folgten. Nach einem freien Theaterprojekt im öffentlichen Raum während der WM 2006 weitet sich der Schreibhorizont aus. Texte für den Rundfunk und die Bühne entstehen, ebenso Kritiken und Artikel für verschiedene Magazine. Als Musiker und DJ hat er außerdem mehrere Alben veröffentlicht und zwei Jahre lang eine monatliche Radioshow produziert.