Komödie aus dem bürgerlichen Heldenleben: 1913

Komödie aus dem bürgerlichen Heldenleben: 1913

von Carl Sternheim |
Regie: Edith Koerber

Ein Ort der Ruhe und Reflexion – die Bibliothek im Hause des alten Großindustriellen Freiherr Christian Maske – ist der Schauplatz eines mit Zähnen und Klauen geführten Kampfes um Macht, Geld und Einfluß.

Von Maskes drei Kindern hat nur Sofie den väterlichen Geschäftssinn geerbt – getreu dem Motto »Friß oder stirb«. Philipp Ernst, der einzige männliche Nachkomme des Hauses, zeigt leider lediglich marginales Interesse fürs Geschäft, vielmehr für Parfüm und Haute Couture. Ottilie schließlich, die jüngste Tochter des Freiherrn, ist vollauf beschäftigt mit der Entdeckung des anderen Geschlechts in Gestalt des Vaters Privatsekretärs Wilhelm Krey.

Geleitet von ihrem unstillbaren Machthunger und sekundiert von ihrem etwas tumben gräflichen Gemahl versucht Sofie mit allerlei schmutzigen Tricks, ihre Geschwister kaltzustellen und die väterlichen Rüstungs- und Industriebetriebe an sich zu reißen. Der alte Maske beweist seine ausgeprägte strategische und taktische Begabung und stellt sich ihr mit ebensoviel Raffinesse in den Weg, um Ottilie und Philipp Ernst ihr Erbteil – und seine Waffenvorräte dem deutschen Kaiserreich für einen bevorstehenden Krieg zu sichern.

Premiere am 31. Mai 1996.
Die Aufführungsrechte liegen beim Felix Bloch Erben Verlag für Bühne, Film und Funk Berlin.

Kritiken

Esslinger Zeitung | 4.6.1996

Eine große absurde Gaudi

»Apokalyptisch, bedrohlich, visionär? Es wäre vermessen, Sternheims Komödie mit derartigen Prädikaten zu versehen. Denn in erster Linie ist ›1913‹ eine große absurde Gaudi und eine famose Klamottenkiste, wie Györgyi Szakács (Kostüme) und Csörsz Khell (Bühne) auch eindringlich unter Beweis stellen.

Und so wartet die tri-bühnen-Inszenierung auch keineswegs mit neuen Erkenntnissen in Sachen Sternheim auf, dafür aber mit historischer Authenzität und exzellenter Rollenarbeit, die es jedem der zehn Schauspieler erlaubt, sich von seiner besten Seite zu zeigen.

Intensiv bis bedrohlich Hannelore Bähr in der Rolle des zickig-boshaften Karriereweibs Sofie und von erlesener Komik Stephan Korves als deren gelangweilter Alibigatte Otto, Cornelius Dane indes gibt einen sehr glaubhaften Idealisten, dem Marcus Michalski als sein Alter Ego den letzten Schliff verleiht. Weniger ernsthaft, aber nicht weniger virtuos agiert Achim Grauer als modebewußter Dandy, wohingegen Wilhelm Schneck treudoof den österreichischen Adel persifliert. Die Hauptrolle des Abends schließlich füllt Günther Seywirth in exzellenter Weise, indem er einen nervös-kraftmeierischen Christian Maske gibt, der mit eherner Souveränität alle Fäden in der Hand hat. Ein großer Abend für ein starkes Ensemble…«

Helga Stöhr-Strauch
Stuttgarter Nachrichten | 4.6.1996

Tragikomischer Abgesang

»Koerber inszeniert Sternheims Satire auf Adel, Spießertum und Großkapital als tragikomischen Abgesang auf eine Anspruchsgesellschaft, wie sie gegenwärtiger nicht sein kann. Die Mitglieder der Maske-Dynastie und ihre geistigen Wegbegleiter haben ihre Identität verloren oder noch nie eine gehabt: Die Männer, wie Maskes Sohn Philipp (Achim Grauer), sein Freund Prinz Oels (Wilhelm Schneck) oder Schwiegersohn Graf Otto von Beeskow (Stephan Korves), haben sich in der Attitüde extravagant gekleideter Luxuspuppen häuslich eingerichtet. Cornelius Danes Sekretär Wilhelm Krey schwankt als ›graues Ding‹ zwischen nationaltümelnder Schwärmerei und Fleischeslust. Mit ihr spielt Maskes zweite Tochter, Ottilie (Lale Yanik), die sich in die Rolle des ewigen Kindes zurückgezogen hat.

Koerber zeigt ihre Figuren als menschliche Abziehbilder, die Sternheims kunstvoll zu preußischer Markigkeit eingedickte Sprachklischees absondern. An ihrer Spitze Günther Seywirths Christian Maske, bis hin zum steifen rechten Arm Abziehbild Kaiser Wilhelms II. – ein vom Alter und seiner subalternen Herkunft gebeugter Westentaschen-Potentat, den die Hybris der Gottgleichheit ständig an den Rand des Schlaganfalls führt. Skrupellosigkeit verbindet ihn mit seiner Tochter Sofie (Hannelore Bähr), einer rothaarigen ›Kanaille‹, die mit ihrem Vater lauthals über die Gründung einer Schwindelfirma lachen kann wie über einen guten Witz.

Beider Macht- und Besitzgier reißt die ganze Gesellschaft ins Verderben: Eine apokalyptische Vision zeigt, wie nach Maskes Tod alle moralischen Dämme brechen: Menschen werden zu wilden Tieren, prügeln, plündern und kopulieren hemmungslos miteinander. Vergeblich sucht ein Scheinwerfer die Verantwortlichen – wir alle sind es.«

Horst Lohr
Süddeutscher Rundfunk | 4.6.1996

Erschreckend komisch

»Eine Hose rutscht. Frau Luise Maske verliert ihre Unaussprechlichen just, als der Kaiser vorbeifährt. So lächerlich beginnt die Trilogie. Im dritten Stück über die komischen Katastrophen der Familie Maske ist der Anlaß gewichtiger: diesmal geht es um ein millionenschweres Waffengeschäft, diesmal bangt nicht mehr der kleine Beamte Maske um seine Stellung, diesmal geht es seinen Emporkömmling von Sohn, dem Freiherrn Christian Maske von Buchow, um die Macht um sein Wirtschaftsimperium. Günther Seywirth ist dieser Aufsteiger auf absteigendem Ast… Seywirth blinzelt schräg von unten, wenn er von Napoleons Dreiminuten-Entscheidung zur Übernahme eines Armeekommandos erzählt. Er, Maske, stehe Menschenbataillonen als Kommandeur gegenüber, sagt er, und meint seine Arbeiter… Seywirth gelingt eine ausgefeilte Studie vom Verfall eines Mannes, in dessen trotzigem Aufbäumen sich der Niedergang einer Epoche spiegelt. Die Zukunft liegt scheinbar in der grauen Existenz des Sekretärs (Cornelius Dane), dem national-romantische Jugendliche wie einem deutschen Mirabeau zujubeln; einer stürmt so burschenschaftlich frisch herein, als sei er vom Hambacher Fest übriggeblieben, und man glaubt seinen Ohren nicht zu trauen, wenn er von den schwülen Dämpfen der Rentenhysterie spricht. Nein, das ist kein Regiegag von heute, sondern original von Sternheim…

Koerber… macht deutlich, wie sehr die Geschichte von heute sein könnte: wie nach langer Friedenszeit die Degenerierung ins Chaos des Krieges umkippt: 1913 ist nicht zufällig das Jahr vor Kriegsausbruch… Ein böses Kammerspiel vor dem Abgrund, ein erschreckend komischer Abend in der tri-bühne.«

Winfried Roesner