Mutter Courage und ihre Kinder

von Bertolt Brecht |
Regie: László Bagossy

Anna Fierling, genannt Mutter Courage, ist europaweit tätige Geschäftsfrau mit internationalen Märkten. Krieg ist ihr Business, Friedenszeiten sind Gift für den Umsatz. Zu ihrem Glück dauert der Krieg dreißig Jahre und bietet somit reichlich Absatzmöglichkeiten. Mit ihren drei Kindern und ihrem Wagen folgt sie den Truppen und handelt mit allem, was der Markt so hergibt.

Doch durch wechselnden Kriegsverlauf gerät die Konjunktur ins Schwanken, Anna Fierlings Bilanz entwickelt sich zunehmend nach unten. Am Ende der Reise sind Anna Fierlings Kinder tot und sie steht vor dem ökonomischen Aus. Doch trotz aller Not denkt sie weiterhin an das Geschäft: »Ich muss wieder in den Handel kommen«.

»Dem Stückschreiber obliegt es nicht, die Courage am Ende sehend zu machen, ihm kommt es darauf an, dass der Zuschauer sieht«, kommentierte Bertolt Brecht und schrieb auf die Frage, was er mit seinem Stück zeigen wollte: »Dass die großen Geschäfte in den Kriegen nicht von den kleinen Leuten gemacht werden. Dass der Krieg, der eine Fortführung der Geschäfte mit anderen Mitteln ist, die menschlichen Tugenden tödlich macht, auch für ihre Besitzer. Dass für die Bekämpfung des Krieges kein Opfer zu groß ist.«

Premiere am 7. März 2009.
Die Aufführungsrechte liegen beim Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main.

Kritiken

Stuttgarter Zeitung | 9.3.2009

Mit Tempo und Konzentration

»Obwohl Brecht nur die Wahl lässt zwischen Elend und Elend, ist es ein dichtes, mitunter auch komisches Stück, das das Ensemble mit Tempo und Konzentration präsentiert. Bis zum Schluss wird kein Argument geliefert, weshalb sich der Bühnenbildner Levente Bagossy für ein modernes Wohnzimmer entschieden hat, dennoch fügen sich die Szenen erstaunlich gut in das Ambiente. Die Sitzgruppe ist einfach nur ein Möbel, das sich mit Fantasie aufladen lässt.

Die Intendantin Edith Koerber spielt selbst die Mutter Courage und ist souverän in der Rolle der korrupten Überlebenskünstlerin, die sogar den eigenen Sohn verleugnet. Jedes Mittel ist recht, solange Geschäft und Leben weitergehen. Auch das Ensemble ist schauspielerisch überzeugend. Da ist Julianna Herzberg als Tochter, die Einzige, die sich Mitgefühl in diesen harten Zeiten erlaubt. Marcus Michalski ist der jugendliche Haudrauf, Cornelius Nieden der schmierige Pfaffe und Folkert Milster der Koch, dem der raue Charme der Courage imponiert.«

Adrienne Braun
Esslinger Zeitung | 10.3.2009

Einfühlungsvermögen für Absonderliches

»›Frieden ist nur Schlamperei‹, sagt der Feldwebel zum Soldaten. Der Krieg ist sein Geschäft. Ein Geschäft, das viele mehr schlecht als recht ernährt – bis zum Tod. Mutter Courage gehört auch zum Tross derjenigen, die sich im Dreißigjährigen Krieg zwischen den Schlachtfeldern Europas eingerichtet haben. Unermüdlich dreht sie ihre Runden mit dem Marketenderinnenwagen und versorgt die Soldaten mit Waren. Sie verdient am Elend. Doch am Ende hat die ›Hyäne des Schlachtfelds‹ alles verloren. Ihre drei Kinder sind umgekommen.

Bertolt Brecht schrieb ›Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg‹ kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im skandinavischen Exil. László Bagossy hat jetzt das gymnasiastenerprobte Lehrstück in einer konsumorientierten IKEA-Möbelwelt an der Stuttgarter Tri-Bühne inszeniert. Ohne neue Erkenntnisse zwar, aber mit Einfühlungsvermögen für die Menschen, die absonderlich werden im Krieg.«

Petra Bail
Stuttgarter Nachrichten | 9.3.2009

Beeindruckende Ausdruckskraft

»Der ungarische Regisseur László Bagossy beeindruckt wie schon bei seiner Arbeit an Horváths ›Kasimir und Karoline‹ in der tri-bühne einmal mehr mit der Ausdruckskraft seiner minimalistischen Bilder. Bei der Inszenierung von Brechts ›Mutter Courage und ihre Kinder‹ werfen sie im Verbund mit dem lapidaren Sprachgestus der 14 Darsteller Schlaglichter auf den Zynismus von Kriegen.

Diese sind heute mehr denn je ein Segen für die Menschheit. Das ist die bittere Botschaft der sarkastischen Inszenierung Bagossys. Den Reichen mehren Kriege ihren Reichtum. Und selbst den ›kleinen Leut‹ verhelfen sie zu bescheidenem Wohlstand von der Stange. Brechts Personal ist in der tri-bühne zu Werkzeugen der Werbewirtschaft abkommandiert…

Regisseur Bagossy gelingt es, seine Figuren wie in einem künstlich verengten Kunstmuseum zu immer neuen Skulpturen der Ausweglosigkeit, Naivität und Berechnung zu choreografieren. Mutter Courages nach dem Soldatenrock lechzender Sohn Eilif (Marcus Michalski) thront strahlend wie ein kleiner Junge auf dem Knie des abgebrühten Feldhauptmanns (Stefan Kirchknopf). Geeint von ihrer latenten Bereitschaft zur Gewalt versinken der Koch (Folkert Milster) und Cornelius Niedens opportunistischer Feldprediger mit Axt und Beil bewehrt im Reinweiß des Sofas.

Die Rolle der Courage ist bei Edith Koerber bestens aufgehoben: Mit weit aufgerissenen Unschuldsaugen und säuselndem Ton zeichnet die tri-bühnen-Chefin facettenreich die Zwielichtigkeit einer Frau, die von Not und Besitzgier getrieben, die Stimme ihres Gewissens überhört.«

Horst Lohr